»Wenn eine Blume blüht,
ist
überall Frühling.«
Dieser Zenspruch sagt in poetischer Form das aus, worum es im Zen geht: Das
Eine und die zehntausend Dinge. Es ist das Tor der Kōans, das es nicht gibt
und das es zu durchschreiten gilt.
泯 |
一 |
Im Einen
ist der Geist in Frieden,
und Verwirrung erschöpft sich
von selbst.
Darlegungen von Soko Mōrinaga Rōshi über die
Meißelschrift vom Glauben an den Geist
Laßt euch nicht von den Objekten vor euren Augen
herumwirbeln, hört auf, an dem, was ihr gesehen, gehört, gerochen,
geschmeckt, gefühlt und gedacht habt, zehn oder zwanzig Jahre festzuhalten.
Alles in dieser Welt ist stetem Wandel unterworfen. Aber seid vorsichtig und
fallt nicht in das andere Extrem, indem ihr die Realität des jetzigen
Augenblicks ignoriert und an einer selbst ausgedachten Leere festhaltet und
danach sucht.
Erscheinungen und Leere – alles ist eins. Ohne
überflüssige Einwände, die eindringen, ohne unnötige Begriffe und
Interpretationen, die sich dazwischendrängen, ist jeder Augenblick, so wie
er ist, eins.
Im Einen
ist der Geist in Frieden,
und
Verwirrung erschöpft sich
von selbst.
In solch einer Lebensweise, im Verschmelzen mit jedem
Moment, in der Versenkung des »Hier und Jetzt« ist der Geist in Frieden. Da
gibt es nicht einmal mehr einen Geist, der ruhig wird, sondern nur
natürliche Bewegung. Was ist richtig? Was ist falsch? Was ist Erscheinung?
Was ist Leere? Wie kann man erleuchtet werden oder mit dem Weg
übereinstimmen? – solche Fragen und Probleme verschwinden, alle Zweifel und
Irrungen vergehen, und der «höchste Weg» erscheint in seiner Soheit.
Jagt nicht den Dingen
vor euren Augen nach,
und
gleichzeitig ignoriert nichts.
Wenn im eigenen Geist
überhaupt nichts vorhanden
ist,
gibt es keine Probleme.
Den Geist in der Ruhe zum Stillstand bringen, bedeutet
nicht, daß keine Bewegung mehr vorhanden ist, und die vollkommene Bewegung
des Geistes darf nicht so verstanden werden, als ob der Geist, der bis jetzt
in Ruhe war, sich plötzlich schnell bewegen würde. Den Geist beruhigen, das
bedeutet, zur ursprünglichen, natürlichen Bewegung des Geistes werden.
Überläßt man zum Beispiel den eigenen Körper der
Strömung eines Flusses, dann befindet sich der Körper innerhalb dieses
Fließens im Stillstand. Versucht man aber gegen die Strömung zu schwimmen
oder schneller als die Bewegung des Wassers zu sein, dann bewegt man sich.
Es fällt euch relativ leicht, mit der Strömung eines Flusses zu treiben und
euch der Bewegung des Wassers zu überlassen, aber im Falle des Wirkens eures
Geistes fällt es euch schwer, der ursprünglichen, natürlichen Bewegung des
Geistes zu entsprechen. Das, was ihr mit den Augen wahrnehmen könnt,
bewältigt und versteht ihr leicht, aber wenn ihr etwas nicht mit dem Auge
sehen könnt, habt ihr Schwierigkeiten, es zu verstehen und dementsprechend
zu handeln. In Wirklichkeit ist es das gleiche – hört nur auf, euch unter
Aufwendung von Willenskraft willkürlich entweder zu bewegen oder
stillzustehen.
Stellt euch vor, ihr treibt mit der Strömung in einem
Fluß. Es reicht vollkommen, wenn ihr die Kraft eures ganzen Körpers ablegt
und euch entspannt. Wenn euer Wille auch nur ein wenig arbeitet, werdet ihr
mit Sicherheit Schwierigkeiten haben oder sogar versinken. Genauso ist es,
wenn ihr euch anstrengt, mit der Kraft eures Willens den Geist zu beruhigen.
Ihr werdet im Gegenteil nur noch erregter, denn die Anstrengung, etwas zum
Stillstand bringen zu wollen, ist gerade Bewegung. Zazen üben, den Geist
beruhigen, das ist keine willentliche Selbstkontrolle, sondern ein
Sich-Überlassen – sich dem ursprünglichen Wirken des Geistes überlassen –,
es ist Entspannung. Deshalb wird Zazen auch Anraku no hōmon, das
Dharmator des Friedens und Glücks, genannt.
Soko Mōrinaga Rōshi
ist
überall Frühling.«
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